“The Future of Europe: Re-Balancing Ecology, Economics and Ethics”- Lecture by Michael D. Higgins
Publication
04 July 2019“THE FUTURE OF EUROPE:
RE-BALANCING ECOLOGY, ECONOMICS AND ETHICS”
Deutsche Übersetzung
VORLEESUNG VON MICHAEL D. HIGGINS, PRÄSIDENT VON IRLAND
UNIVERSITÄT LEIPZIG
DONNERSTAG 4.JULI 2019
Rektor Schücking,
Ministerpräsident Kretschmer,
Oberbürgermeister Jung,
Tánaiste Simon Coveney,
sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre Einladung, hier und heute, und für die herzliche Begrüßung. Ich bedanke mich bei Ihnen allen für ihr Erscheinen heute Morgen. Mein besonderer Dank gilt den Studenten und Studentinnen, die sich die Zeit genommen haben, ihre Examensvorbereitungen zu unterbrechen, um hier zu sein. Auch bedanke ich mich bei den Mitgliedern der irischen Gemeinde in Sachsen und sogar aus den Nachbar-Bundesländern, die heute hier angereist sind.
Alle guten Universitäten teilen eine Bekenntnis zu Bildung, und denken zukunftsorientiert indem sie auf Errungenschaften in der Vergangenheit aufbauen. Viele prahlen mit prächtigen Hallen und repräsentativen historischen Gebäuden. Wenige jedoch haben den Mut und die Vorstellungskraft, einen Ort zu erschaffen, wie dieses Paulinum. Es ist eine großartige Leistung, und ich gratuliere der Universität, der Stadt und dem Land Sachsen, diesen Ort erschaffen zu haben, der so harmonisch das Antike mit dem Modernen, das Religiöse und das Säkulare verbindet.
Mir wurde erzählt, dass der große Komponist Johann Sebastian Bach in seiner Zeit in Leipzig - mit seinem Respekt für den langen Arm der Zeit und seiner Besorgnis um was dauerhaft und universell sein könne - sein Interesse am Komponieren neuer Musik für das damalige Paulinum verloren hatte, welches an dieser Stelle stand und eine der vier Kirchen war, für die er verantwortlich war.
Er war frustriert, so sagte man uns, von der Tatsache, dass die Stadt ihm nicht genügend Ressourcen zur Verfügung stellte. Gewiss verstehe ich sein Leiden! Jedoch bin ich mir sicher, dass der begabte Komponist diesen Ort hier befürworten würde.
Wie am Paulinum ersichtlich, ist es eine bestens bekannte und in Leipzig wohlverstandene Herausforderung, etwas Neues aus dem Schatten der Vergangenheit zu kreieren; etwas für die Zukunft zu errichten und gleichzeitig Vergangenes zu würdigen, und die Materialien zu benutzen, die in der heutigen Zeit zur Verfügung stehen. Ein ethisches Engagement mit der Vergangenheit und all ihrer Komplexität ist eine unvermeidbare moralische Aufgabe, die Gegenwart zu erhellen, uns zu befähigen zu erkennen, was besser sein könnte und uns, auf der Suche nach einer erfüllten Zukunft, zu einer harmonischeren Existenz aufzufordern.
Dies ist ein Thema, dass ich als Präsident von Irland, zu verschiedenen Anlässen in der Vergangenheit, versucht habe anzusprechen. Es ist eine andauernde Herausforderung für uns alle als Bürger und muss auch ein Thema sein, welches auch von den Mitgliedstaaten und, in der Tat, von der Europäische Union selbst und in der sich entfaltenden Struktur ihrer Institutionen richtig angesprochen und berücksichtigt werden. Sowie auch deren Verhältnis zu Hoffnungen und Bedenken, ob Entscheidungen ein Echo finden oder nicht oder auf europäischen Straßen für Dissonanzen sorgen.
Ich habe in der Vergangenheit Leipzig besucht und bin mir des kulturellen Erbes bewusst. Die Stadt Leipzig hat eine bedeutende Rolle gespielt, nicht nur in der deutschen, sondern auch in der europäischen Geschichte.
Mein Besuch ist der allererste Staatsbesuch eines irischen Präsidenten in Sachsen, oder in der Tat, im östlichen Teil Deutschlands außer Berlin. Ich hoffe aufrichtig, dass mein Besuch eine neue und tiefere Beziehung mit Ihnen und Ihren Nachbarstaaten einleitet. Mein Besuch als Präsident von Irland spiegelt Irlands Interesse wider, eine irische Präsenz deutschlandweit zu vertiefen und auszuweiten. Wir wollen neue Freundschaften aufbauen.
Ich möchte auch die wichtige Rolle bestätigen, die diese Universität bei der Förderung und dem Schutz von Minderheitensprachen gespielt hat. Ich weiß, dass es hier ein wichtiges Institut für Sorabistik gibt, und ich freue mich, dass die Universität auch zu einem Zentrum für die irische Sprache in Deutschland geworden ist. Unsere einzelnen Sprachen bereichern unser Leben in Europa, jede in ihrer eigenen Art und Weise. Wir haben eine generationsübergreifende Verpflichtung, diese Sprachen zu pflegen, um sicherzustellen, dass sie für zukünftige Generationen lebendig und dynamisch bleiben. Dass wir heute die irische Sprache benutzen und diese auf dem heutigen Lehrplan steht beruht auf der Hilfe, die Dr. Douglas de Híde von einer Anzahl deutscher Gelehrter erhielt. Unter ihnen war Dr. Kuno Meyer, der 1919 in Leipzig gestorben ist. Ich möchte Professor Sabine Asmus und ihre Studenten und Studentinnen, die heute hier anwesend sind, für ihre Bemühungen in dieser Hinsicht würdigen.
Gabhaim buíochas libh agus treaslaím libh as bhur n-iarrachtaí.
Auch fühle ich mich geehrt, dass ich im Anschluss an den Empfang heute Morgen die Möglichkeit haben werde, die Nikolaikirche zu besichtigen, um den Mut der Demonstranten von vor dreißig Jahren zu würdigen. Deren Mut und Entschlossenheit, den Weg für etwas frei gemacht zu haben, was eine seismische, geo-politische Veränderung unseres Kontinents zur Folge hatte, und deren friedliche Aktionen zur deutschen Wiedervereinigung und zu einer neuen Ära der Partnerschaft in Europa führte.
Wieder sind wir an einem wichtigen Moment innerhalb der Europäischen Union angelangt. Wir sind aufgefordert, unser Bekenntnis zum Zusammenhalt als Union zu erneuern, um neuen Herausforderungen entgegenzutreten, einige innerhalb der Union, andere von außen. Einen Diskurs hinsichtlich der dringend notwendigen Veränderung anzunehmen, verlangt Mut, wenn wir den Spielraum oder die intellektuelle Rigorosität verteidigen, der Freiheit einen Diskurs, einen Politikwandel erlauben wollen.
Heute Morgen möchte ich über die Zukunft Europas sprechen und einige radikale Veränderungen vorschlagen, die wir in unserem Denken und unserer Politik vornehmen müssen. Es ist meine Überzeugung, dass es eine dringende Notwendigkeit gibt, neue Verbindungen zwischen Ökologie, Wirtschaft und Ethik herzustellen, um im Interesse aller unserer Bürger einen neuen Weg, den wir gemeinsam gehen können, zu ebnen.
Meine Kritik und meine Vorschläge gehen über Adjustierung oder dem Aufsetzen einer ökologischen oder humanitären Brille hinaus. Sogar auch über bestehende Paradigmen bezüglich wirtschaftlicher Entwicklung. Ein solches Vorgehen wurde versucht und rhetorisch behandelt und war erfolglos. Keine glaubwürdige Strukturierung einer solchen Herangehensweise hat stattgefunden oder ist im formellen oder institutionellen Diskurs wahrgenommen worden. Und es hat gewiss nicht den Weg auf die europäische Straße gefunden, wo das Vertrauen in Worte und Taten dringend zurückgewonnen werden muss.
Wir, als globale Gemeinschaft, müssen auf die Auswirkungen des Klimawandels und der Notwendigkeit Nachhaltigkeit zu schaffen, reagieren. Eine radikale Veränderung auf ein neues ökonomisches Denkmuster in einer dekarbonisierten Welt. Eine öko-soziale politische Wirtschaftsperspektive ist notwendig, um die Grundsätze zu erreichen, auf die wir uns geeinigt haben. Um diese Paradigmenwechsel zu erreichen, benötigen wir einen Spielraum erkenntnistheoretischer Freiheit in unseren Lehrinstituten. Hiermit meine ich den Lehrenden und den Studierenden zu erlauben zu denken, die Freiheit zumindest pluralistisch zu lehren und ein derzeitiges orthodoxes kapitalistisches System zu kritisieren, welches unkontrolliert und unverantwortlich in Bezug auf die Auswirkungen für die Gesellschaft und die Sozialpolitik ist.
Eine Veränderung ist nicht möglich, wenn es nicht erlaubt ist, diese darzulegen und dessen Grundsätze zu lehren. Jedoch stößt die notwendige Veränderung auf Widerstand durch eine Kombination von denjenigen, die Angst haben, stummgeschaltet oder mit intellektueller Lethargie befallen sind sowie den unternehmerischen Machtausübern, Gegnern von staatlicher Regulierung und einer Minderheit der Bevölkerung, die froh ist, Zugang zu einem immer größer werdenden unersättlichen Kapitalbildungsprozess gefunden zu haben.
Der Umfang der notwendigen Veränderung entspricht meiner Meinung nach der Veränderung, die in den späten Achtzigerjahren und frühen Neunzigerjahren in Zentral- und Osteuropa stattgefunden hat und, versteht man es als einen Aufruf für eine moralische Zukunft in gemeinschaftlichem Frieden, in Umfang, Tragweite und Wichtigkeit dem Manifest von Ventotene ähnlich.
Diese von Altiero Spinello und Ernesto Rossi 1941verfasste programmatische Schrift, die zum Programm der (italienischen) Europäischen Föderalisten-Bewegung wurde, spricht in ihrer außerordentlichen Vision die Bedürfnisse und Ziele der Menschen grenzübergreifend an und hat als Hauptzielsetzung, nach Eroberung nationaler Macht, die Erschaffung eines stabilen internationalen Staates formuliert. Es ist in erster Linie als ein Instrument zur Erreichung internationaler Einheit zu benutzen. Europäischer Föderalismus und Weltföderalismus sind im Manifest von Ventotene als ein Weg dargestellt, um zukünftige Kriege zu verhindern. Das Manifest gilt gemeinhin als Geburt des Europäischen Föderalismus.
Der vielzitierte Schuman-Plan seinerseits erinnerte uns, dass: „Europa sich nicht mit einem Schlage herstellen lässt und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung.“ Mir ist bewusst, dass viele unter den Entmutigten oft mit Wehmut an die Tage der Pioniere der Europäischen Union denken: Robert Schuman, Konrad Adenauer, Jean Monnet und andere, als Momente der Inspiration mit neuen Ideen die Stimmung erfasste und Wirklichkeit wurden.
Ja, es ist sehr wichtig zu erinnern, wie sie zusammenkamen, um aus unterschiedlichen Interessen, ein gemeinsames Ziel zu erreichen und den Samen zu setzen für friedliche Kooperation und politische Einheit. Jedoch müssen wir Nostalgie mit Vorsicht betrachten. Nostalgie ist oft unsere Antwort, wenn wir uns angesichts neuer Herausforderungen unzulänglich fühlen; es ist der Auftakt eines Eingeständnisses des Versagens oder der Verzweiflung indem wir denken, dass wir in Abwesenheit von jeglicher wahrgenommener oder verdienter Hoffnung aus gegenwärtiger intellektueller Arbeit, die Zukunft anpacken können, indem wir in die Vergangenheit schauen. Als ob die Instrumente von gestern uns für die Bedürfnisse der Zukunft ausstatten.
Jede Generation ist verpflichtet, die Instrumente für die Analyse und Existenz in der Komplexität der jeweiligen Zeit zu erfinden, oder sogar neu zu erfinden.
Wir stehen weder am Ende der Geschichte noch am Ende der Ideen. Es besteht natürlich eine weitere Gefahr, dass die Gegenwart rationalisiert wird, durch eine entstellte oder eingeschränkte Vorstellung von der Vergangenheit, Ursprünge, die im motivationalen Aspekt uneinheitlich waren.
Dennoch steht der Schuman-Plan als Beispiel und ist eine Herausforderung für alle zukünftigen Generationen, sich verändernde Umstände im Voraus zu erkennen, sich anzupassen und neuen Anforderungen nach Bedarf gerecht zu werden.
Aufgrund unserer Unabhängigkeit, einer Unabhängigkeit, die nicht nur den Handel betrifft, müssen unsere Herausforderungen eine gemeinsame Perspektive hervorbringen. Es sind gemeinsame Herausforderungen, die einer gemeinsamen grenzübergreifenden Antwort bedürfen. Ein Rückzug auf die enge Sichtweise des Nationalismus spricht, nicht wie es vielleicht in der Vergangenheit der Fall war, von der Freiheit für die Bevölkerung einer Nation, sondern eher von einer Verteidigung eigennütziger Interessen, die Ungleichheit und hemmungslose Kapitalakkumulation einer kleinen Minderheit auf Kosten der Mehrheit ermöglichen.
Wir können auch nicht die Vorbereitungen für einen Krieg zwischen den Schwerstbewaffneten als Ersatz für involvierte und autoritative Diplomatie akzeptieren.
Friedenssicherung und Friedenserreichung - dafür wurden die Vereinten Nationen gegründet. Wie Deutschland, ist auch Irland ein überzeugter Unterstützer der Vereinten Nationen und die UN-Mitgliedschaft hat eine wichtige Rolle in unserer Entwicklung gespielt. Durch unsere Mitgliedschaft unterstützen unsere beiden Nationen nicht nur eine faire regelbasierte Ordnung internationaler Angelegenheiten, sondern wir existieren, überleben und prosperieren davon.
In Bezug auf Friedenssicherung, Abrüstung, nachhaltige Entwicklung, Klima, Ernährung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe sind wir gemeinsam bestrebt, unsere Worte mit Taten und Finanzierung in Einklang zu bringen und multinationale Strukturen zu unterstützen. Auch wenn das UN-System Mängel hat, sind Irland und Deutschland überzeugt, dass es keinen besseren Weg gibt, gemeinsame Chancen und Bedrohungen anzugehen.
Ich bin nach Leipzig gekommen, um diese Ideen zu präsentieren, weil ich überzeugt bin, dass die Aufgabe der Konzeptionierung, Erneuerung, oder Zukunftssicherheit der EU nicht ausschließlich in Treffen, die in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten organisiert werden, stattfinden sollten. Eine europäische Konversation muss weit gestreut und inklusiv sein.
Europa ist nicht ausschließlich eine Union von Hauptstädten, sondern von allen Menschen in unseren Großstädten, Städten, Dörfern und ländlichem Hinterland. Wir haben zwischen unseren Völkern eine Fähigkeit zu kommunizieren entwickelt, aber es ist eine individualisierte, privatisierte Erfahrung von Kommunikation. Oft ist es flüchtig, trivial, eine Kommunikation, die nicht die vorangegangene und jetzt fragile gemeinsame Welt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Medien-Pluralismus, öffentliche Reden auf dem Marktplatz ersetzen kann. Wir wurden dazu gebracht, unsere derzeitige Lage und mögliche gemeinsame Zukunft unter diesen neuen Bedingungen zu diskutieren. Aber wir sollten etwas, das wir gemeinsam haben nicht vernachlässigen, den Respekt für geistige Werke und die Musik des Herzens.
Deutschlands und Irlands gemeinsamer Respekt für Ideen ist ebenso wichtig wie gemeinsame Innovation und gemeinsamer Handel.
Es gibt keinen besseren Ort, um die Zukunft Europas zu diskutieren als Leipzig, wo der große deutsche Dichter Friedrich Schiller seine wundervolle Lyrik „Ode an die Freude“ verfasste. Einige seiner Worte wurden von Beethoven für den vierten Satz seiner meisterhaften Neunten Sinfonie vertont, dieser wunderschöne mitreißende Ausdruck musikalischer Brillanz, der als Hymne unserer Europäischen Union übernommen wurde.
Aus diesem Geist heraus möchte ich eine grundsätzliche Überlegung über die Bedeutung der Worte „Europa“ und „europäisch“, die wir in unserem Diskurs verwenden, vorschlagen. Sprechen wir nur über die geografischen Koordinaten auf dem Kontinent und den Inselstaaten an der Peripherie aus denen Europa im physikalischen Sinn besteht?
Sprechen wir von einem Block Konsumenten oder einem Handelsblock? Wie oft sprechen wir von einem sozialen Europa, wenn wir über die Europäische Union sprechen? In anderen Worten, was bedeutet es für diejenigen, die jetzt leben und für noch kommende Generationen im frühen 21. Jahrhundert, wenn wir sagen „Union“ oder „europäisch sein“. Welche gemeinsamen Werte und gemeinsame Moral wollen wir als Europäer aufrechterhalten, verteidigen, aufbauen und in unseren Mitgliedstaaten und, in der Tat, der restlichen Welt, fördern?
Trotz vieler historischer Leistungen auf unserem Kontinent, auf welchem viele Jahrhunderte durch Krieg und Leiden getrübt waren, behält die Europäische Union durch ihr Gedankengut, ihre Verpflichtung zu intellektuellem Diskurs, ihre Bereitschaft, die Fesseln der Imperien abzuwerfen und Imperialismus zu bekämpfen, eine einmalige Chance und Verantwortung, ihre Gründungswerte von Demokratie, Zusammenhalt, gemeinsame Erwartungen, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu behaupten und, falls notwendig, wieder geltend zumachen in einer Welt, in der diese Werte herausgefordert werden.
Diese Werte sind weder abstrakt, noch sind sie optionale Extras oder durch Grenzen eingeschränkt. Sie sind unser Herzstück und müssen von allen Mitgliedstaaten respektiert und aufrechterhalten werden. Im Zentrum dieser Werte und ihrer Verteidigung ist das Konzept und der Umstand der Personenfreizügigkeit, die es Menschen ermöglicht ihre Hoffnungen zu erfüllen, ihre Geschichten und ihr kulturelles Erbe einzubringen.
In der Tat war Migration, nach innen und nach außen, für Jahrhunderte ein Schlüsselaspekt europäischer Geschichte. Migration hat lange vor der Gründung des Gemeinsamen Marktes und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stattgefunden. Migration, nach innen und außen, hat uns als Europäer geformt, unsere Einflüsse, unsere Werte, unsere Sensibilitäten und tatsächlich war es auch eine der Grundlagen unseres Wohlstands.
Jedoch kann dieser Wohlstand, der durch die Annahme, dass unbegrenzt beschleunigtes Wachstum und eine unendliche Quelle von Ressourcen zur Verfügung stehen, nicht die Konsequenzen vermeiden, die dieser Wohlstand verursacht hat, einschließlich der Auswirkungen des Klimawandels. Vielleicht ist es lehrreich, Abstand zu nehmen und zurückzublicken auf die Merkmale einer Periode, die solch eine Auswirkung auf unseren Planeten und uns selbst gehabt hat.
Die Ära des Anthropozän, in der wir jetzt leben, hat selbstverständlich neue existenzielle Herausforderungen mit sich gebracht, die das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten gefährden. Wenn wir annehmen, dass der Beginn des Anthropozäns am Anfang der industriellen Revolution (etwa während der 1760er) anzusetzen ist, können wir rückverfolgen, wie dieser Zeitraum die Genesis eines Zyklus von Ereignissen war, der die ökologische Krise herbeigeführt hat, mit der wir heute konfrontiert sind .
Die industrielle Revolution, die in Großbritannien ihren Anfang hatte, resultierte darin, dass dieses Land ein globales Handelsimperium mit Kolonien in Nordafrika und der Karibik kontrollierte und politischen Einfluss auf dem indischen Subkontinent hatte. Die Entwicklung von Handel und Kommerz waren unter anderem die Hauptursachen der industriellen Revolution. Sie stellt einen Wendepunkt in der Geschichte dar, fast jeder Aspekt täglichen Lebens wurde in irgendeiner Art und Weise beeinflusst.
Besonders das durchschnittliche Einkommen und die Bevölkerungszahlen zeigten beispielloses und anhaltendes Wachstum. Es war auch in dieser Periode, in der wir den Aufstieg der Industriestädte sahen, wie zum Beispiel Manchester.
Im kontinentalen Europa begann die industrielle Revolution ein wenig später als in Großbritannien. Durch die Führungsrolle in der chemischen Forschung an den Universitäten und Industrielaboratorien übernahm das 1871 vereinigte Deutschland im späten 19. Jahrhundert eine dominante Rolle in der chemischen Industrie. Deutschland konzentrierte sich auf die Förderung der Industrialisierung und daher spannte sich ein Netz von Eisenbahnlinien über die Ruhr und anderen industriellen Zentren und stellte gute Verbindungen zu den wichtigen Häfen Hamburg und Bremen bereit.
Warum hatte die industrielle Revolution ihren Ursprung in Europa? Der Wirtschaftshistoriker Joel Mokyr hat argumentiert, dass die politische Fragmentierung (die Existenz vieler Einzelstaaten) es ermöglichte, dass heterodoxe Ideen gedeihen konnten, da Unternehmer, Erfinder, Ideologen und Ketzer ohne Schwierigkeiten in einen Nachbarstaat flüchten konnten, falls irgendein Staat versuchen würde, ihre Ideen und Aktivitäten zu unterdrücken. Diese Tatsache unterschied Europa von den technologisch fortgeschrittenen Reichen China und Indien, da Migration, Innovation und Erneuerung des Intellekts und Technos „als eine Versicherung gegen ökonomische und technologische Stagnation dienten“, wie Mokyr es ausdrückt.
China besaß beides, eine Druckpresse und bewegliche Einzelletter, und Indien war auf ähnlichem Niveau in Bezug auf wissenschaftliche und technologische Errungenschaften wie das Europa um 1700, aber die industrielle Revolution fand in Europa statt und nicht in China oder Indien. In Europa war die politische Fragmentierung mit einem „integrierten Markt der Ideen“ gekoppelt, in der die Intellektuellen die Verkehrssprache Latein benutzten, eine gemeinsame intellektuelle Basis innerhalb Europas klassischen Erbes und der pan-europäischen „Republik der Gelehrten“.
Der Historiker Peter Stearns kam zu dem Schluss, dass „Europas industrielle Revolution zum großen Teil von Europas Fähigkeit herrührte, in überproportionalem Maße Weltressourcen zu nutzen.“ Es wäre sicher ein großer Fehler, den immensen Schatz der im Druck erscheinenden philosophischen Werke nicht zu berücksichtigen.
Wir werden die Kombination von Enteignung, Eroberung, Beherrschung, Ausbeutung und kultureller Auslöschung, die das möglich machten an anderer Stelle ansprechen. Die Auswirkungen dieser Aneignung und Ausbeutung von Ressourcen sind natürlich heute allzu sichtbar, wenn wir die ökologischen und sozialen Folgen der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in der Welt betrachten.
Es gab während dieser Periode auch Gegenstimmen, die im Allgemeinen dem „Kunstbereich“ zugeordnet werden. Während der industriellen Revolution entwickelte sich in Verbindung mit der romantischen Bewegung eine intellektuelle und künstlerische Feindschaft zur industriellen Revolution. Diese kritisierte, dass das was sich entwickelte, eine Version des Lebens sein wird und nicht was es sein könnte, ein Leben, das die Suche nach Schönheit der Form beinhaltet und die Schönheit der Natur und ländliche Vertrautheiten feiert. Die Romantik bevorzugte den Traditionalismus ländlichen Lebens und schreckte zurück vor den von der Industrialisierung, Urbanisierung und dem Elend der Arbeiterklasse verursachten Umbrüchen.
Die wichtigsten Vertreter im Englischen waren der Künstler und Dichter William Blake, die Dichter William Wordsworth, John Keats, Lord Byron und Percy Bysshe Shelley. Die Bewegung hob die Wichtigkeit der Natur in Kunst und Sprache hervor, im Gegensatz zu „monströsen“ Maschinen und Fabriken; die „Dark satanic mills“ in Blakes Gedicht „And Did Those Feet in Ancient Time“. Mary Shellys Roman Frankenstein spiegelt die Bedenken wider, dass der wissenschaftliche Fortschritt zweischneidig sein könnte. Auch die französische Romantik stand der Industrie kritisch gegenüber. In einer späteren Periode bewegte sie sich von einem Realismus der ländlichen Existenz zu einem anti-urbanen Mythos einer idealisierten ländlichen Existenz und kreierte, was Raymond Williams „false pastoral“ nannte. In seiner reaktionärsten Form wurde es benutzt, um eine anti-urbane Ideologie zu schüren. Josiah Strong drückte es so aus: „ Gott schaffte den Menschen in einem Garten. Die Stadt ist das Ergebnis des Sündenfalls“.
Es ist interessant, dass in der derzeitigen Debatte über die Zukunft der Europäischen Union die Ressource dieser, in der literarischen Vorstellung existierenden Ideen, und der Kultur im Allgemeinen, selten anerkannt wird.
Eine Nachlässigkeit, für die die Europäische Union einen hohen Preis zahlen musste. Zum Beispiel wäre es unmöglich, soziale und politische Theorie und ihre Beziehung zur Wirtschaft und Politik zu lehren, ohne auf die Frankfurter Schule zu verweisen.
Während zur Zeit der industriellen Revolution Imperien geformt und gestützt wurden, wurde Europa Zeuge des Aufkommens des Nationalismus. Im 19. Jahrhundert schwappte eine Welle des romantischen Nationalismus über den europäischen Kontinent und transformierte dessen Länder und Völker. Die Erfindung einer symbolischen nationalen Identität wurde europaweit zum Anliegen von rassischen, ethnischen und linguistischen Gruppen, als sie das Aufkommen der Politik der Massen und den Verfall der traditionellen und meist ausbeuterischen sozialen Elite, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit zu bewältigen versuchten. Am Ende dieses Zeitraums wurden die Ideale des europäischen Nationalismus weltweit exportiert und begannen sich nun zu entwickeln, wetteiferten miteinander, und bedrohten die Imperien, die von den kolonialen europäischen Nationalstaaten beherrscht wurden.
Die folgende Periode, das Aufkommen des extremen Nationalismus und des Faschismus und Europas Niedergang durch zwei katastrophale Weltkriege, sollte uns vor den heimtückischen Gefahren warnen, die aus engstirnigen, über Demokratie und utopische Ideale uninformierte nationalistischen Bewegungen resultieren. Besonders dann, wenn wirtschaftliche und soziale Unruhen zusammentreffen.
Dieser kurze Überblick zur europäischen Geschichte der letzten zweieinhalb Jahrhunderte erinnert uns, dass es vor der industriellen Revolution einen europäischen Gedanken gab; ein Europa des Lebens und des Geistes, der Musik und Philosophie, vor dem Europa des Stahls und der Kohle, ein Europa, das ohne übertriebene Ausbeutung der natürlichen Ressourcen florierte.
Die kommerzielle Revolution, die der industriellen Revolution vorangegangen war, war zum Beispiel durch einen Anstieg im allgemeinen Handel und im Wachstum finanzieller Dienstleistungen, wie Banking, Versicherungen und Investitionen gezeichnet. Es gab sogar eine moralisch informierte Literatur hinsichtlich der Ethik von Transaktionen und Handelsverkehr.
Die Geschichte läßt uns glauben, dass es tatsächlich ein Europa nach Stahl und Kohle geben kann während wir uns im Anthropozän weiterbewegen und läßt uns hoffen, dass es ein grünes Europa geben kann, fähig seine Völker zu ernähren, ohne die feine ökologische Balance des Planeten und seiner 7,5 Milliarden menschlichen Bewohner und 8,7 Millionen Species unwiderruflich zu schädigen; eine Gesellschaftsversion, in der die Ökologie, Ökonomie und Kultur zusammenkommen und die in sozialer Gerechtigkeit, Humanität und Moral ihre Wurzeln hat.
Um diese Vision von Europa zu erreichen, braucht es nur einen Paradigmenwechsel hinsichtlich sozialer Theorie, Politik und Praxis, so stelle ich es mir vor.
Die Berücksichtigung eines neuen ökologisch-sozialen Denkmusters, welches auf ökonomischer Heterodoxie basiert, steht uns zur Verfügung durch die wissenschaftliche Arbeit von Professor Ian Gough und anderen, die sich der Grenzen der natürlichen Ressourcen der Welt bewusst sind, und sie kennen auch die Rolle, die die hemmungslose Gier bei der Verursachung der Klimakrise gespielt hat.
In seinem Buch Heat, Greed and Human Need - ich wünschte jeder Studierende der Sozialwissenschaft wäre im Besitz dieses Werkes - zeigt Professor Gough auf, wie das alternative Denkmuster in dem Konzept Menschliche Bedürfnisse über Unersättlichkeit verwurzelt ist. Es vertritt den Gedanken der Gleichberechtigung der Geschlechter, Einkommen-, Wohlstand- und Ressourcenumverteilung sowie eine neu konzipierte Konsum- und Investitionsstrategie, welche die Ressourcen und Technologie von entwickelten Ländern auf die Entwicklungsländer transferiert, als hauptsächliches Mittel den öko-sozialen Wohlfahrtsstaat zu verwirklichen.
Die öko-sozialen Grundsätze, die solch ein ökonomisches Paradigma untermauern, müssen gleichzeitig nach Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit streben sowie auch nach Nachhaltigkeit und Versorgungszielen innerhalb eines aktivistischen Innovationsstaates mit erheblichen staatlichen Investitionen und strengerer Regulierung und Planung. Des Weiteren sind auch sozialwirtschaftliche Maßnahmen notwendig, um nachteilige Auswirkungen der ökologischen Wende für die Ärmsten der Gesellschaft auszugleichen, und eine Verbesserung und keine Verschlimmerung bezüglich des wachsenden Grades der Ungleichheit zu erreichen. Der Übergang mag schwierig sein aber er zeigt einen Ansatz, der als unsere beste Geste für generationsübergreifende Gerechtigkeit Unterstützung gewinnt.
Goughs öko-soziale Politik betont verantwortungsbewusste Ökonomie und hat erkannt, dass das Konzept des beschleunigten wirtschaftlichen Wachstums ad infinitum grundsätzlich mangelhaft ist. Wissenschaftler wie Ian Gough haben einen Diskurs und eine politische ökonomische Disziplin wiederentdeckt, die einer unkritischen Umarmung Neo-liberaler Zurückhaltung zum Opfer gefallen waren. Sie befürworten ein ökonomisches Modell des Pluralismus, der die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen der Erde betont und die Rolle, die die reichen Nationen spielen müssen, um die kritische Lage in der wir uns befinden zu verbessern.
Wie es Gough selbst ausdrückt: „ Konsum und konsum-basierte Emissionen, die von der Green Growth Agenda ignoriert wurden, müssen in der reichen Welt gleiche Priorität erhalten. (…)
Fragen der globalen Gerechtigkeit, die bisher in internationalen Klimaverhandlungen fast ausschließlich fehlen, müssen diskutiert und begegnet werden. (…) „Überfluss“ hat sowohl eine Klassendimension als auch eine nationale Dimension.“
Kate Raworths Buch Die Donot-Ökonomie ist ein weiteres Beispiel von Werken, die einen mächtigen konzeptionellen Rahmen bereitstellen, der die sozialen und ökologischen Grenzen bezüglich der Herausforderung für die Menschheit des 21. Jahrhundert, die Bedürfnisse aller Menschen dieses Planeten mit den Mitteln des Planeten zu decken,
aufzeigt.
In anderen Worten, es gibt uns Hoffnung indem es uns zeigt, wie wir als globale Gemeinschaft sicherstellen können, dass niemand hinsichtlich des Lebensnotwendigen zurückbleibt (von Nahrung und Wohnraum bis Gesundheitsfürsorge und politischer Stimme) und gleichzeitig sichergestellt wird, dass wir die lebenserhaltenden Systeme der Erde, auf die wir im Grunde angewiesen sind, nicht überlasten - wie z.B. ein stabiles Klima, fruchtbare Böden und eine schützende Ozonschicht.
In ihren Büchern The Entrepreneurial State und Wie kommt der Wert in die Welt rügt Mazzucato die auf Sparkurs basierte Weltanschauung, in welcher, um Wachstum wiederherzustellen (nach der Finanzkrise von 2008), Defizite verringert werden müssen indem öffentliche Ausgaben reduziert werden, als fundamental dargestellt wird. Sie argumentiert stattdessen, dass Staatsausgaben für Bildung, und Forschung und Entwicklung Investitionsschwerpunkte sein müssen und Wachstumstreiber sind.
Orthodoxe Institutionen wie der Internationale Währungsfond haben ihre Ansichten hinsichtlich Sparmaßnahmen als ein strategisches Mittel langsam weiterentwickelt, im Glauben, dass eine solche Politik schädigen und kontraproduktiv sein kann.
Keynes argumentierte vor über 80 Jahren, dass, wenn Regierungen Ausgabe während eines Konjunktureinbruchs kürzen, eine kurzlebige Rezession zu einer ausgewachsenen Depression werden kann. Genau das passierte 2008 in Irland, als eine Rezession 2009 in eine wirtschaftliche Depression mündete und es erst 2014 zu einem verspäteten Wirtschaftsaufschwung kam.
In ihrem Buch Germany and the European Union: Europe’s Hegemon argumentieren Bulmer und Paterson, dass Deutschland, aufgrund seiner modernen institutionellen Verträge, Exportleistung und Einfluss sowie seiner langjährigen fiskalischen Solidität und der Attraktivität seines Modells der sozialen Marktwirtschaft, die Fähigkeit hatte und immer noch hat, in wirtschaftlichen Angelegenheiten eine natürliche europäische Führungsrolle einzunehmen.
Viele Jahrzehnte vor dem Hervortreten der gegenwärtigen politischen Ökonomen, die ich erwähnt habe, haben die geistigen Väter des kreativen Denkens im öffentlichen Sektor, Keynes und Polyani, die politischen Entscheidungsträger aufgerufen, in der Wirtschaftspolitik nicht ausschließlich an antizyklische Ausgaben zu denken, wenn es um die Mittel zur Reduzierung der Auswirkungen von Rezessionen geht oder es zu Überhitzungen von Volkswirtschaften kommt, sondern auch strategisch zu denken und zu ermitteln, welche Investitionen helfen können, die Perspektiven der Bürger langfristig zu verbessern.
In seinem Buch The Great Transformation geht Polyani soweit, zu argumentieren, dass freie Märkte in der Tat das Produkt staatlicher Interventionen sind, Resultate öffentlicher und privater Aktivitäten, auch wenn diese bei weitem nicht im Griff von Unvermeidlichkeiten waren. Diese scharfsinnige Beobachtung ist von den auf Sparkurs basierenden neoliberalen Kommentaren, die die noch nicht lange zurückliegende Wirtschaftskrise analysierten, bequemer Weise beiseite gelegt worden.
Zurück zur Europäischen Union und unserer gemeinsamen Zukunft: Trotz der von der EU auferlegten für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Emissionsziele für 2020 und 2030 müssen wir nun in Europa weitergehen und eine vollständige Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaften bis 2050 planen, und den Rest der Welt ermutigen, uns zu folgen und mit Nachdruck die USA ermahnen, den Ausstieg aus dem Internationalen Pariser Abkommen über den Klimawandel zu überdenken. Eine Entscheidung, die meiner Meinung nach, unentschuldbar, schlecht informiert, zutiefst kurzsichtig ist und zukünftige Generationen mit katastrophalen Konsequenzen bedroht.
Wenn wir uns mit sozioökonomischen Auswirkungen des Klimawandels befassen, muss uns bewusst sein, einen „gerechten Übergang“ für die Arbeiter und Gemeinden zu ermöglichen und wir müssen sicherstellen, dass wir alle Teil einer nachhaltigen kohlenstoffarmen Wirtschaft werden und von vernünftigen und grünen Jobs profitieren. In Irland und Deutschland bedeutet dies, dass zum Beispiel denjenigen, die von der Schließung Kohlenstoff-intensiver Elektrizitätsproduktion betroffen sind, Umschulungs-Möglichkeiten angeboten werden, um sie zu befähigen, angemessene Jobs in anderen Bereichen zu finden, wie z.B. der grünen Wirtschaft, oder die Möglichkeit ein nachhaltiges Einkommen in anderen Gesellschaftsbereichen zu erhalten. Darüber hinaus muss gute Sozialpolitik betrieben werden, um sicherzustellen, dass keine bürgerlichen Mitwirkungsrechte verloren gehen.
Ich behaupte, dass eine Globalisierung ohne Berücksichtigung der sozialen Auswirkungen oder Konsequenzen einen beschleunigten, negativen Einfluss auf den Klimawandel hatte: mehr Waren wurden produziert und verbraucht, mehr Waren über lange Strecken transportiert, kürzere Produktlebenszyklen und eine vom Konsum und Materialismus getriebene Gesellschaft. All diese Aspekte der Globalisierung sind durch die Auswirkungen mit einem hohen Preis einhergegangen, wenn man die Auswirkungen auf die begrenzten natürlichen Ressourcen und damit verbundenen Kohlenstoff-Emissionen bedenkt.
Diejenigen, die von einem solchen fehlerhaften Modell profitieren, sind nicht die Öffentlichkeit, weder jetzt noch in der Zukunft. Es ist eine Minderheit, die profitiert und die in der Verteidigung einer unersättlichen, unkontrollierten Profitsucht die Auswirkungen ihres Modells ignorierten, sei es in klimatischer oder sozialer Hinsicht. Eine Minderheit, die oft ungebunden ist und außerhalb der Reichweite von Regulierung durch Staat oder Regierung existiert. Das Wachstum von unverantwortlichen, spekulativen Finanzkapital-Aktivitäten kann sogar die Bemühungen von Regierungen zunichtemachen. Das muss sich ändern. Demokratie verlangt danach.
Nach Jahrzehnten der Kommentare der Mainstream-Ökonomie mit dem Glauben am Unvermeidbaren und den oft extremen Marktversionen, Privatisierungen und einer kleineren staatlichen Rolle, sind wir dank einsichtsvoller Beiträge von Ökonomen, deren Werke ich erwähnt habe sowie von Mariana Mazzucato und Sylvia Walby im ökonomischen Diskurs scheinbar an einem Wendepunkt angelangt,.
Das Instrument, genannt Staat, muss von seinen Bürgern wieder in Besitz genommen werden, wenn wir die Gesellschaften zum Wohl der Bürger transformieren wollen, denn der Staat besitzt immer noch die Fähigkeit und einen Großteil der Ressourcen, um die demokratische Kontrolle der Wirtschaft und der Finanzen einer Nation auszuüben. Dies ist nur eine Form einer erkenntnistheoretischen Herausforderung der neoklassischen ökonomischen Orthodoxie, die mit Starrheit die Annahmen von Rationalität und Individualismus als Equilibrium Nexus verfechtet.
Die Rolle des Staates und auch das Konzept der Souveränität müssen derart neu definiert werden, dass diese über Grenzen hinaus gemeinsam zum Wohl der Bürger fließen kann. Und sie kann - denn wir befinden uns in einem Übergangsstadium in mehreren Ländern - eine komparative und regionale Eigenschaft haben, eine die beispielhaft für globale Wirtschaftssysteme ist. Das Konzept der Souveränität, das mit grenzüberschreitender Verantwortung definiert ist, kann sogar noch kraftvoller definiert werden als ein Konzept, das ein grenzüberschreitendes Bewusstsein verlangt, um zu vermeiden in die Falle einer entvölkerten Technokratie oder Ignoranz gegenüber menschlichen Gefühlen zu geraten. Schließlich leben und teilen Nationen gleichermaßen Gefühle des Herzens wie Empfindungen der Rationalität. Es ist diese Sensibilität und Fähigkeit, das den Ehrgeiz der Technokratie behindert. Wir müssen den Mut aufbringen, die strukturelle Basis der Probleme mit denen wir konfrontiert werden, zu untersuchen.
Die Brexit-Wahl im Vereinigten Königreich, die Wahl von Donald Trump in den Vereinigten Staaten, das Wachsen der nationalistischen Parteien und Anti-Immigrations-Parteien in Europa und erst kürzlich die Gelbwestenbewegung in Frankreich sind als Folge eine Reaktion auf die steigende Ungleichheit, stagnierende Einkommen und wirtschaftliche Unsicherheit, die in vielen industrialisierten Ländern zum dominanten Trend geworden sind, wie Jon Keane im Social Europe scharfsinnig dargelegt hat.: „ Sie spiegeln das Wachsen relativer Deprivation wider indem große Teile der Bevölkerung fühlen, dass sie und ihre Familien den Kürzeren gezogen haben, während andere von wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen profitierten. Und sie fürchten eine noch unsicherere Zukunft. Sich zuspitzende Spaltungen werden sichtbar, nachdem über Jahrzehnte hinweg die intermediären Institutionen geschwächt wurden, insbesondere die Gewerkschaften, deren wirtschaftliche Rolle es ist, als Bremse gegen wachsende Ungleichheit zu wirken und deren politische Rolle es ist, denjenigen eine Stimme zu geben, die sich ungerecht behandelt fühlten und Lösungen für deren Beschwerden auszuhandeln.“
Brexit, Trump und Straßengewalt, sie alle repräsentieren Reaktionen, die wir als schädlich empfinden, wenn es um die Frage geht: wie stellen wir eine Vereinbarung über Verteilungsgerechtigkeit wieder her für diejenigen, die außen vor geblieben sind, entweder objektiv oder subjektiv, durch Globalisierung, technologische Innovation (einschließlich Digitalisierung), sogenannte Innovation (einschließlich Prekarisierung der Arbeit) oder Reaktionen zum Klimawandel. Wie gewinnen wir Vertrauen zurück? Was sind die Konsequenzen eines Vermächtnisses weggefallener oder geschwächter mediatorischer Institutionen?
Evans behauptet: „ein neuer sozialer Ausgleich auf Arbeitsplätzen und in Gemeinden ist unerlässlich, um in zerbrochenen Gesellschaften Vertrauen zurückzugewinnen. Einkommensungleichheiten müssen reduziert und die Kaufkraft und mittlere Einkommen unterstützt werden.
Die Arbeitsqualität muss angesprochen und die räumliche Konzentration der Unzufriedenheit angegangen werden. In erster Linie beinhaltet dies eine Rekonstruktion und Stärkung der intermediären Institutionen wie zum Beispiel der Gewerkschaften, die eine Stimme und kollektive Lösungen bereitstellen können“.
Jürgen Habermas aus der Frankfurter Schule hat einen zukunftsträchtigen Beitrag geleistet indem er in sich in seiner großartigen Sammlung von Essays über die EU, einschließlich Im Sog der Technokratie, vom Pessimismus, den wir von Adorno kennen, wegbewegt hat. Habermas artikuliert eine schlüssige und weitreichende Verteidigung des europäischen Einigungsprojekts und mögliche parallele Entwicklungen für eine politisch integrierte Welt und Gesellschaft.
In seinen Schlüsselkonzepten Transnationalisierung der Demokratie und Konstitutionalisierung internationalen Rechts entwickelt Habermas mehrere wertvolle Anregungen, wie wir auf Situationen reagieren könnten, wie, zum Beispiel, dem Stillstand, in dem wir uns zur Zeit befinden.
Habermas kritisiert aufs Schärfste die von einigen Mitgliedstaaten befürwortete inkrementelle technokratische Politik, die den wirtschaftlich schwächeren, krisengeschüttelten Mitgliedstaaten aufgezwungen wurde, und weiterhin aufgezwungen wird, und die Solidarität innerhalb der EU untergräbt. Er argumentiert für eine Alternative, in welcher, sollte der technokratische, auf Sparkurs fokussierte Ansatz, durch eine Demokratisierung der europäischen Institutionen ersetzt werden, die EU die Chance hat, ihre Kern-Gründungsprinzipien zu erfüllen und somit sicherzustellen, dass „ zügellose kapitalistische Marktwirtschaft auf supranationaler Ebene unter Kontrolle gebracht werden kann.
Habermas definiert ein Kontinuum in welchem Kapitalismus und Demokratie, wenn auch nicht an entgegengesetzten Enden, aber doch sich gegenüberstehen, und er diskutiert mit erschreckender Präzision das bittere Elend einer national aufgestellten kapitalistischen Weltgesellschaft.
Bedeutet dies, dass sich eine fundamentale Unvereinbarkeit von Demokratie und Kapitalismus entwickelt oder vielleicht schon entwickelt hat, insbesondere ein Kapitalismus, der mit einer zügellosen Globalisierung verstrickt ist, welche selbst für viele Bürger keine Legitimation besitzt? Im Gegensatz zu Wolfgang Streeck, der, wie ich meine, eine eher pessimistische Schlussfolgerung zieht, behauptet Habermas, dass zwei Interventionen das demokratische Fundament der Union verbessern können: das gemeinsame Planen von politischen Rahmenbedingungen und eine Überarbeitung des Lissabon-Vertrags, um die entsprechenden Kompetenzen demokratisch zu legitimieren: „(…) insbesondere paritätische Beteiligung von Parlament und Rat bei Gesetzgebungsverfahren und gleiche Rechenschaftspflicht der Kommission gegenüber beiden Institutionen.“
Wie Habermas sagt: „eine Generalisierung von Interessen, die nationale Grenzen überschreitet, ist nur möglich in einem Europäischen Parlament, das über parlamentarische Funktionen organisiert ist.“
Er argumentiert für eine tiefgreifende politische Integration in Europa, um eine Verschiebung zwischen Politik und Markt herbeizuführen, eine Verschiebung, die bis zum heutigen Tag infolge der neoliberalen Selbstentmachtung der Politik stattfindet.
Diese Entmachtung der Politik hat sich während der Finanzkrise 2008 sowie nachfolgenden wirtschaftlichen Rezessionen innerhalb der EU manifestiert, als auf die politisch fragmentierten nationalen Staatshaushalte seitens der Finanzmärkte Druck ausgeübt wurde, was eine kollektivierende abwertende Selbstwahrnehmung in der von der Krise betroffenen Bevölkerung auslöste.
Habermas behauptet, dass die Reaktion durch Märkte, Regierungen, wichtige internationale Organisationen und Kommentatoren aus dem Mainstream-neoliberalen Lager, erheblich dazu beigetragen hat, dass den „Programm-Ländern“ auf einer unheilvollen, strafenden Basis Hilfe angeboten wurde indem: ‚Geber und Empfänger‘-Länder sich gegeneinander richteten und dadurch Nationalismus geschürt wurde.“
Eine Wiederholung eines solchen Impasse könnte überwunden werden, wenn pro-europäische Parteien gemeinsam transnationale Kampagnen durchführen, um gegen die Falschdarstellung anzugehen, dass soziale Fragen nationale Fragen seien. Er verlangt auch: „die Währungsunion muss zu einer supranationalen Demokratie werden“, die eine institutionelle Plattform bereitstellen könnte, um den neoliberalen Trend der letzten Jahrzehnte umzukehren. In erster Linie hat Habermas für (in Ach Europa) eine graduelle Integration argumentiert, in welcher Schlüsselentscheidungen über die Zukunft Europas in die Hände der Bürger gelegt werden und nicht in die der neoliberalen Orthodoxie.
Haben wir unsere Lehren gezogen aus der Wirtschaftskrise, dem sich-selbst-regulierenden Markt, und dem langen verheerenden Zeitraum der Entbehrung, der Millionen von europäischen Bürgern aufgezwungen wurde? Ich glaube, dass es viele unter uns gibt: in der Politik, unter Entscheidungsträgern, Akademikern, Kommentatoren, Bürgern. Sie haben neu überdacht, wovon man oft überzeugt war und eine neue Wertschätzung des Staates gefunden, der in allen Bereichen öffentlicher Ordnung eine wichtige Rolle zu spielen hat. Auch eine gute Kontrolle ist wichtig, sei es im Finanzsektor, Bausektor oder im Gesundheitswesen - alle Sektoren in denen wir in Irland die katastrophalen und manchmal tragische Auswirkungen durch Unterregulierung und/oder mangelhafte Durchsetzung gespürt haben.
Die Legitimationskrise ist nicht auf die Europäische Union oder ihre Mitglieder beschränkt. Die Rolle des Staates wird entscheidend sein, wenn es zu Fragen wie Klimawandel und Nachhaltigkeit kommt.
Es gibt eine ernstzunehmende Lücke: wie behandeln wir Institutionen, die nicht gegenüber dem Parlament, Volk oder deren Gesetze verantwortlich sind? Dieses Problem wurde vom Präsidenten Griechenlands, Prokopios Pavlopoulos 2016 in der Aristoteles-Vorlesung angesprochen. Er sprach von nicht-staatlichen Einheiten mit internationaler Reichweite ohne demokratische Legitimität - sogenannte Finanzmärkte, Kreditratingagenturen - und den Rückgang von Sozialfürsorge und der Rechtsstaatlichkeit.
In der Vision meines Europas stehen hervorragende öffentliche Dienste im Mittelpunkt.
Gute Jobs im öffentlichen Sektor bedeuten hochwertige Dienstleistungen für die Bürger. Wie müssen erinnern, dass die Dienstleistungen, die der öffentliche Dienst erbringt, kein Kostenfaktor für die Bevölkerung, sondern eine Investition in unsere Gemeinschaften sind. Diese Botschaft muss im Herzen Europas ankommen. Ich behaupte, dass spekulativer unersättlicher Kapitalfluss unverantwortlich ist und eine globale, unkontrollierte und finanzialisierte Version eine Bedrohung der Demokratie darstellt, die größte Quelle eines unvermeidlichen Konflikts ist, und das größte Hindernis globale Armut auszumerzen oder Nachhaltigkeit zu erreichen.
Abschließend komme ich zum Anfang zurück, zu Schillers Ode an die Freude. Vor meiner Reise habe ich dieses Gedicht mit seiner kraftvollen Botschaft von Freiheit und Solidarität gelesen und es machte mich wieder sprachlos. Schillers erste Strophe endet mit den kraftvollen Zeilen:
Alle Menschen werden Brüder
Wo dein sanfter Flügel weilt
Dieser Ausdruck von Solidarität und Toleranz erinnert uns nachdrücklich an den Zweck und das Leitprinzip der Europäischen Union: Solidarität zwischen unseren Nationen und Solidarität mit anderen. Was verlangt Solidarität von uns? Sie muss generationsübergreifend sein, ein multi-dimensionales, das Ökosystem, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft (Handel und Steuer) umfassendes Konzept.
Es muss einen gemeinsamen Ansatz geben, der darauf abzielt, das, was unverantwortlich ist, was öffentliches Vertrauen in die Demokratie untergräbt, was Bürger nur als unersättliche Konsumenten betrachtet, unter Kontrolle zu bringen.
Aber Solidarität ist nicht die einzige Botschaft, die wir aus Schillers Gedicht entnehmen, denn es ist ein langes Werk und nur die ersten Strophen wurden von Beethoven vertont. Der Komponist selbst war sich vielleicht bewusst, dass nicht alle seine Strophen von seinen damaligen Herren geschätzt werden würden, da diese Strophen idealistische Aufrufe dafür sind, was für eine bessere Welt getan werden muss.
In seiner Gesamtheit ruft das Gedicht nach einem Streben für eine bessere Welt: Hilfe für die Unschuldigen, Freunden und Feinden die Wahrheit zu sagen, diejenigen zu würdigen, die es verdienen, und ein Ende für diejenigen, die lügen.
Es ist ein Ruf nach Rettung vor den Tyrannen, Gnade für Bösewichte und Hoffnung bis in die Sterbestunden.
Das Gedicht drückt die Essenz der europäischen Werte aus - zweifellos idealistische Werte, aber Werte, nach deren Erfüllung wir weiterhin streben müssen. Eine Ode an die Freude repräsentiert Werte, die zu konkreter, spürbarer Realität werden müssen. Werte, die den Bürgern auf den europäischen Straßen angeboten und von ihnen erfahren werden können.
Die Reaktion auf die notwendige Transformation des Verhältnisses zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, die ich in meiner Rede angesprochen habe, hat größte Priorität in Zeiten, die von einer Abwesenheit eines angemessenen und integrativen Diskurses gekennzeichnet sind und, so wie ich denke, eine Konsequenz der wachsenden bitteren Rhetorik ist, die oft auf Verzweiflung, Entfremdung, Anomie und Ausgrenzung beruht und Aussagen von den Unverantwortlichen vorbringt, die versuchen uns aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität zu spalten.
Dieses Europa, das wir suchen, muss ein Europa sein, in welchem solch hassvolles Gezänk ersetzt wird durch Offenheit, Integration, Zusammenhalt, Solidarität und der Erkenntnis, dass wir gemeinsam und ohne Verzögerung einen Wechsel auf ein neues geschlechtsspezifisches ökologisch-soziales Paradigma der Schaffung und Verteilung von Wohlstand verfolgen. Und dies nicht nur zum Vorteil der Europäischen Union, sondern auch für zukünftige Generationen, für die wir wünschen, dass sie in einer friedlichen, harmonischen Welt leben werden, die durch eine nachhaltige Vision für Wirtschaft und Gesellschaft gefördert und mit einer Diversität der Kulturen bereichert wird.
Go raibh míle maith agaibh go léir.